Alumni-Preis 2025
Selina Machnitzky für ihre Masterarbeit: "Constraints on Cannibal Dark Matter from Structure Formation"
Betreuer: Jun.-Prof. Dr. Stefan Vogl
Kurzzusammenfassung der Arbeit (deutsch):
Seit Jahrzehnten beobachten wir im Universum Phänomene, die sich mit sichtbarer Materie allein nicht erklären lassen - zum Beispiel die Rotationsgeschwindigkeit von Materie in Spiralgalaxien, die Stärke von Gravitationslinseneffekten oder die Strukturen im kosmischen Mikrowellenhintergrund. Um diese Beobachtungen zu verstehen, nehmen wir an, dass es eine bislang unbekannte Form von Materie gibt: Dunkle Materie. Sie ist nicht direkt sichtbar, da sie nicht elektromagnetisch wechselwirkt, beeinflusst aber über ihre Gravitation die Entwicklung des gesamten Kosmos. Heute gehen wir davon aus, dass etwa 27 % der Energie- und Materiedichte des Universums aus Dunkler Materie bestehen - mehr als fünfmal so viel wie die bekannte, gewöhnliche Materie.
In dieser Masterarbeit untersuchen wir die Möglichkeit, dass Dunkle Materie sehr stark mit sich selbst wechselwirkt - so stark, dass im frühen, dichten Universum mehrere dieser Teilchen zu weniger, aber dafür energiereicheren Dunkle-Materie-Teilchen annihilieren. Da sich diese Teilchen im frühen Universum gegenseitig „auffressen“, nennt man diesen Kandidaten kannibalistische Dunkle Materie. Dieser „Kannibalismus“ bewirkt, dass sich die Dunkle Materie im frühen Universum nur langsam abkühlt und über längere Zeiträume hinweg eine höhere Temperatur und Beweglichkeit aufweist als andere Dunkle-Materie-Kandidaten, wodurch das Wachstum kleinerer Strukturen unterdrückt wird. Dadurch kann kannibalistische Dunkle Materie die beobachtete Unterdrückung kleiner Strukturen im Universum erklären - allerdings nur, wenn diese Unterdrückung im Rahmen der präzisen Beobachtungen des sogenannten Lyman-α-Walds bleibt. Der Lyman-α-Wald beschreibt eine Reihe von Absorptionslinien, die im Spektrum weit entfernter Quasare - sehr heller, aktiver Galaxienkerne - zu sehen sind. Bevor das Licht dieser Quasare die Erde erreicht, durchquert es Wasserstoffwolken im frühen Universum. Photonen mit genau der richtigen Energie werden dabei vom Wasserstoff absorbiert. Zusammen mit der Rotverschiebung der Photonen im expandierenden Universum liefern diese Beobachtungen eine Art 1D-Karte der Materieverteilung entlang der Sichtlinie und sind daher ein äußerst sensibles Werkzeug, um die Strukturbildung im frühen Universum zu untersuchen.
Durch den Vergleich der durch kannibalistische Dunkle Materie vorhergesagten Unterdrückung kleiner Strukturen mit den tatsächlichen Beobachtungen sowie unter Berücksichtigung der gesamten gemessenen Energiedichte der Dunklen Materie können wir den möglichen Parameterraum für kannibalistische Dunkle Materie deutlich einschränken. Wir finden strenge untere Grenzen für die Masse dieser Teilchen im Bereich von etwa 10 bis 100 keV je nach angenommener Stärke der Selbstkopplung.
Abstract of thesis (english version):
For decades, we have observed phenomena in the universe that cannot be explained by visible matter alone - for example, the rotation speeds of matter in spiral galaxies, the strength of gravitational lensing effects, or the structures observed in the cosmic microwave background. To explain these observations, we assume the existence of a previously unknown form of matter: Dark Matter. It is not directly visible, as it does not interact electromagnetically, but it influences the evolution of the entire cosmos through its gravitational effects. Today, we assume that about 27% of the universe's total energy and matter density consists of Dark Matter - more than five times the amount of known, ordinary matter.
In this thesis, we investigate the possibility that Dark Matter interacts very strongly with itself - so strongly that in the early, dense universe, several Dark Matter particles annihilate into fewer but more energetic Dark Matter particles. Because these particles effectively "consume" each other in the early universe, this candidate is referred to as Cannibal Dark Matter. This "cannibalism" causes the Dark Matter to cool only slowly in the early universe and to maintain a higher temperature and mobility over longer periods than other Dark Matter candidates. As a result, the growth of smaller structures is suppressed. Cannibal Dark Matter can therefore explain the observed suppression of small-scale structures in the universe - but only if this suppression remains consistent with the precise observations of the so-called Lyman-α forest. The Lyman-α forest refers to a series of absorption lines seen in the spectra of distant quasars - very bright, active galactic nuclei. Before the light from these quasars reaches Earth, it passes through hydrogen clouds in the early universe. Photons with exactly the right energy are absorbed by the hydrogen. Combined with the redshift of the photons due to the universe's expansion, these observations provide a kind of one-dimensional map of the matter distribution along the line of sight and thus represent an extremely sensitive tool for studying structure formation in the early universe.
By comparing the small-scale structure suppression predicted by Cannibal Dark Matter with actual observations - while also taking into account the total measured energy density of Dark Matter - we can significantly constrain the viable parameter space of the model. Depending on the assumed strength of self-coupling, we find stringent lower bounds on the particle mass in the range of approximately 10 to 100 keV.